Vor langer Zeit in einem weit entfernten Land, da lebte ein König. Der König hieß Sebastian und sein Land hieß Messalina. Er besaß eine herrliche Burg mit einem wunderschönen Garten. Seine Frau wurde weit über die Landesgrenzen hinaus um Ihre Güte und Schönheit beneidet. Seine zwei Kinder, Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge eiferten ihm nach und bewunderten ihn. Seine Dienerschaft sprach in den höchsten Tönen über seine Großzügigkeit, seine Untertanen lobten seine Gerechtigkeit und die Könige anderer Länder sahen mit Neid auf Messalinas Wohlstand. Um es kurz zu sagen: Es war ein Paradies!
Doch eines Tages wurde die Frau des Königs sehr krank. Über Monate wurde sie immer schwächer und schwächer. Der König lud alle angesehenen Heilkundigen in seine Burg. Seine Frau musste Kräutertinkturen trinken, Aderlässe begehen, es wurde für sie gebetet und geopfert, doch nichts half. Der König wurde immer verzweifelter. Immer neue Heilkundige, Quacksalber und Medicusse bestellte er in seine Burg. Immer neue Diagnosen wurden gestellt und immer neue Behandlungsmethoden ausprobiert, doch nichts konnte die Königin retten. Am ersten kalten Tag des Winters starb sie. Selbst im Tod sah sie noch wunderschön aus.
Der König trauerte. Er kümmerte sich nicht mehr um Staatsangelegenheiten oder um Rechtsprechung und Messalina ging es schlecht. Als der Frühling kam, wurde es in Sebastians Burg keinen Grad wärmer. Der einst so schöne Garten wucherte und wuchs, weil der König all seine Bediensteten entlassen hatte. In seiner Burg sammelten sich Staub und Dreck. Der König wollte sich mit nichts anderem beschäftigen, als mit seinen Kindern, die jetzt sein ganzer Stolz waren. Er erzählte ihnen viele Geschichten von ihrer Mutter und brachte ihnen ihre Sanftmut, ihre Stärke und Güte bei. Er erzählte ihnen Geschichten von einem Ort hinter dem großen Meer, wo alles möglich ist. Und während die Zwillinge behütet und noch zu jung um die Welt zu verstehen in der Burg heranwuchsen, verfiel Messalina dem Chaos. In den Städten regierte das Verbrechen, weil niemand einen Urteilsspruch des Königs fürchten musste. Der Handel folgte keinen Bestimmungen mehr und die Könige der Nachbarländer leckten sich bereits die Finger nach einem Krieg.
Eines Tages klopfte eine einfache Kräuterfrau an die Tür der Burg. Der König wollte sie erst nicht einlassen, aber sie war hartnäckig. Drei Tage wartete sie auf Einlass, bis Sebastian endlich nachgab. Die Kräuterfrau schenkte ihm einen Trank, der seinen Schmerz lindern sollte. Und der König trank.
Was er nicht wusste war, dass durch den Trank jede Erinnerung an seine Frau ausgelöscht werden würde. Als er also am nächsten Morgen erwachte, wusste er nicht einmal mehr den Grund seiner jahrelangen Trauer. Mit neuer Energie stürzte er sich in die Arbeit: Er empfing wieder Bittsteller und erließ Gesetzte. Er ließ den Garten neu anlegen und seine Burg putzen. Von seiner Trauer blieb nur ein leises Gefühl der Angst zurück: Angst um seine Kinder. Im Zauber der Kräuterfrau gefangen, glaubte er an ein Wunder, welches ihm seine Kinder beschert hatte und wollte sie um jeden Preis beschützen. So durften sie nur sehr selten und in Begleitung von Soldaten die Burg und den Garten verlassen. Er schenkte ihnen alles was sie brauchten und zur Gesellschaft hatten sie ja einander.
Messalina erblühte zu alter Schönheit. Unter dem Zauber des Trankes war der König ein so guter Herrscher, wie er es vorher gewesen war, nur etwas vorsichtiger. Nur in dunklen Wirtshäusern und noch dunkleren Ecken wurde noch über die königliche Trauer und Hexerei gemunkelt. Der Rest der Menschen in Messalina hatte die schwere Zeit schnell vergessen.
Doch als die Zwillinge heranwuchsen, war es dem König, als würden sie ihn dunkel an jemanden erinnern. Ihr Aussehen und ganzes Wesen ähnelten auf eine bittersüße Art jemanden, den er einmal gekannt hatte. Es erfüllte ihn jetzt mit Trauer, seine Kinder zu sehen und er mied sie. So waren sie oft nur zu zweit. Aber auch wenn er seine Kinder nicht um sich hatte, musste er nun immer darüber grübeln, an wen sie ihn erinnerten. Dabei befiel ihn eine hilflose, verzweifelte Trauer. Seine Gedanken wurden beherrscht von einer dunklen, wunderschönen Gestalt. In seinen Träumen sah er sie vor sich, doch konnte sie niemals erreichen oder ihr Gesicht sehen.
Als die Zwillinge das Erwachsenenalter erreichten, baten sie ihren Vater die Burg verlassen zu dürfen. Immer wieder fragten sie ihren Vater, aber er wollte sie nicht gehen lassen. Noch immer war da diese Angst. Je mehr die Zwillinge darauf drängten wegzugehen, desto öfter befiehl ihn die unbestimmte Trauer. Der König schlief nicht mehr, weil er jede Nacht schlimme Träume hatte. Ruhelos brütete er über seiner Vergangenheit. Langsam wurde der König wahnsinnig.
Als er eines Nachts wieder ruhelos in seinem Garten herumstreifte, sah er seine Kinder in einem Fenster, wie sie sich eine gute Nacht wünschten. Sie umarmten sich und wirkten so sehr wie zwei Teile eines Ganzen, dass der König sich so allein fühlte, als wäre er der einzige Mensch auf der Welt. Er fühlte eine wahnsinnige Verzweiflung. Noch in der selben Nacht starb König Sebastian an seinem Kummer.
Seine Kinder, die Zwillinge Viola und Sebastian beschlossen von Messalina wegzugehen und den wundersamen Ort hinter dem Meer zu suchen.